Motivation - eine Kunst ?

Experten aus allen Bereichen haben über angebliche oder tatsächliche Motivationstätigkeiten kontrovers diskutiert. Motivationsguru Udo Lattek wurde wegen seines magischen blauen Pullovers belächelt, Klaus Toppmöller wegen seines Adlers in der Kabine kritisiert und ich wurde wegen Tausender an der Kabinentür oder dem Glasscherbenlauf heftig attackiert. Eines ist bei allen Aktion unstrittig: Sie wurden in den Medien und in Fachkreisen unterschiedlich bewertet. Zum besseren Verständnis möchte ich nochmal die Beweggründe meiner Aktionen erläutern.

Tausender und Glasscherben

Bei den plakativen Tausendern an der Wand ging es mir darum, dass meine Spieler eine fiktive Geldsumme realistisch erleben sollten, sie begreifen sollten. Keiner meiner Spieler hatte jemals zuvor 40 Tausender in der Hand gehabt. Mit dem physischen Begreifen der 40 Tausender bekam die Aussage „Heute geht es um 40.000,- Meisterschaftsprämie“ einen Realitätsgehalt, der bei einigen Spielern kurzfristig zu einer Orientierungsreaktion führte. Diese Orientierungsreaktion und das Begreifen waren die Intention der Maßnahme. Dass das nachfolgende Spiel 2:1 auswärts gewonnen wurde ist sicherlich nicht auf diese Aktivität zurückzuführen.

Dem Glasscherbenlauf lag meine Feststellung zu Grunde, dass viele Menschen sich zu wenig ihrer gedanklichen Kräfte bewusst sind. Wie konnte ich meinen Spielern diese Kräfte besser verdeutlichen, als mit einem Glasscherbenlauf? Jeder Spieler lehnte diesen Barfußlauf über Glasscherben ab. Genau das war mein Ziel. Meine Spieler sollten etwas Extremes erleben, was sie gedanklich für unmöglich hielten. Tatsächlich haben sich viele Spieler nach diesem Glasscherbenlauf intensiver mit ihren gedanklichen Potentialen beschäftigt und sich vermehrt mit Audiosuggestionen, Biofeedback, NLP und anderen Maßnahmen zur Selbststeuerung beschäftigt. Ich möchte anmerken, dass keiner ohne fachliche Anleitung ein solches Experiment selbständig durchführen sollte. Bei unsachgemäßer Durchführung besteht akute Verletzungsgefahr.

Da ich in Stuttgart innerhalb kurzer Zeit aus einem Abstiegskandidaten einen UEFA Cup Teilnehmer und ein Jahr später den ersten Gesamtdeutschen Meister geformt hatte und in Leverkusen aus einem Fast-Absteiger einen Champions League Teilnehmer kreiert hatte, mussten Fachleute diesen „Motivationstricks“ nachgehen. Folglich wurden die Spieler befragt: Was macht der Daum eigentlich?

Aussagen wie „Wenn du nur 1,65m bist und mit Daum sprichst, dann fühlst du dich wie 1,85m“ oder eine Frage an einen Spieler nach einem Spiel, das wir trotz eines 2:0-Rückstandes noch in einen 3:2 Sieg umdrehen konnten:

Ich: „Was wäre passiert, wenn wir 3:0 in Rückstand geraten wären?“

Spieler: „Dann hätten wir 4:3 gewonnen, der Trainer hat uns ein unerschütterliches Selbstvertrauen eingeimpft.“

Diese Schlagzeilen lassen sich noch lange fortsetzen. Wieso trifft Kirsten wieder? Was steckt hinter dieser Staubsaugervertreterphilosophie? Fragen über Fragen. Ich kann euch versichern, auch mir ist nicht wohl, wenn ich auf meine angebliche Motivationskunst andauernd angesprochen und reduziert werde.

Ich bin mir sicher, dass der Begriff Motivation häufig sehr unterschiedlich verstanden wird. Ob im Elternhaus, in der Schule, in der Firma, am Stammtisch oder im Fußballbereich - über Motivation wird ständig gesprochen. Für den einen ist Motivation etwas Selbstverständliches - das hat man einfach immer zu haben. Für den anderen ist der Begriff Motivation etwas völlig Unverständliches oder Überflüssiges.

Was ist eigentlich Motivation?

Ich will hier nicht wissenschaftliche Erklärungen wiedergeben, was unter Motivation zu verstehen ist, sondern aus meiner Erfahrung und meinen Vorstellungen über Motivation sprechen.

Motiviert bedeutet für mich:

  • Sich verbessern zu wollen
  • Seine Grenzen zu erweitern, Herausforderungen zu suchen, anzunehmen und zu lösen
  • Etwas zu riskieren, zu agieren, Initiative zu zeigen
  • Sich mit einer Aufgabe zu identifizieren
  • Selbst unter schwierigen Verhältnissen erfolgreich zu sein
  • Bereit sein, anderen zu helfen
  • Mit Freude und Beharrlichkeit sein Ziel zu verfolgen

Oder speziell im Fußballbereich:

  • Teamfähig zu sein (einordnen statt unterordnen)
  • Gemeinsam Erfolge zu erarbeiten und zu erzielen, aber auch gemeinsam Niederlagen, Rückschläge wegstecken zu können
  • Lernen, mit Stärken und Schwächen - meiner eigenen – und der von Mitspielern umgehen zu können
  • Tolerant sein
  • Den anderen Vertrauen schenken

Die Liste meiner Ideale könnte ich noch um Vielfältiges erweitern. Doch eine Überzeugung von mir, die ich nicht vorenthalten möchte, lautet: Leidenschaft ist oft wichtiger als können. Diese Leidenschaft, dieses motiviert sein, versuche ich selbst vorzuleben und verzichte dabei nicht auf Dinge wie:

  1. Disziplin
  2. Selbstkontrolle
  3. Selbstkritik

Jeder Spieler muss sehen, dass meine Überzeugung ehrlich gemeint ist. Ich versuche jeden Spieler in seiner Einzigartigkeit – seiner Individualität wahrzunehmen. Zugegeben, dass ist eine einseitige – nämlich meine – Wahrnehmung, aber ich gestehe meinen Spielern zu, dass sie eine andere, abweichende Wahrnehmung haben. Wir alle haben folgenden Ausspruch schon gehört oder selbst gebraucht: Der Trainer muss die Sprache seiner Spieler sprechen! Ich gehe einen Schritt weiter und behaupte: Jeder Trainer muss zuerst die Sprache seiner Spieler verstehen.

Damit meine ich: Ein Grundelement der Führungsarbeit ist das Zuhören können.

Ich will erfahren: Welche Vorstellung hat der einzelne Spieler von sich selbst, von der Mannschaft, von seinem Trainer, von seinem Umfeld? Was sind seine persönlichen Ziele? Was sieht er als seine Stärken und seine Schwächen an?

Solche Informationen müssen in einem offenen Dialog vom Trainer eingeholt werden. Ich betone ausdrücklich Dialog, denn ein Trainermonolog mit dem Einfordern von Leistungen, Aufstellen von Normen und Pflichten bewegt auf Dauer herzlich wenig.

Gerade im Jugendbereich muss es uns gelingen, die Jugendlichen zu gewinnen und an die Hand zu nehmen, mit ihnen sinnvolle Entfaltungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Dies geht nur durch ehrliche Kommunikation. Im Nachwuchsbereich besteht die Notwendigkeit, den Kindern und Jugendlichen Orientierungshilfen zu geben. In diesen Altersgruppen besteht ein Bedarf an klaren Verhaltensanweisungen auf der einen Seite und einem altersabhängigen Freiraum zur Verwirklichung eigener Ideen auf der anderen Seite. Uns muss es gelingen, im Nachwuchsbereich die Spieler zu fordern und zu fördern, anstatt zu verwöhnen oder zu verprellen. Die Jugendlichen müssen es lernen, sich selbst verantwortlich zu fühlen. Dies gelingt nur, wenn im Nachwuchsbereich die Ausbildung der Persönlichkeit auch außerhalb des Spielfeldes trainiert wird. Hier gilt, genauso wie im Bereich der Grundtechniken, was versäumt wurde, ist oft nur schwierig oder überhaupt nicht mehr zu erlernen.

Damit wäre ich schon bei meiner Kernaussage, was ich unter Motivation verstehe: Eine ständige Bereitschaft zur Kommunikation, zum Dialog.

Keine Angst, ich plädiere nicht für „Jeder kann machen was er will“, sondern für eine gemeinsame Zieldefinition und was vielleicht noch wichtiger ist: für eine gemeinsame Wegbeschreibung zu diesem Ziel oder Zielen.

Manipulation?

Wenn Kritiker unterstellen, dass jede Motivationsaktivität nur Manipulation wäre, so könnte ich dem entgegnen: Und was geschieht im Kindergarten, im Elternhaus, in der Schule, beim Arzt oder in fast allen Bereichen der Gesellschaft? Wichtig ist bei allen Erziehungs- oder Beeinflussungsmaßnahmen, dass die Intentionen auf ethischen und moralischen Werten basieren und der Betroffene diese nachvollziehen kann.

Wenn ein Spieler das Tor nicht mehr trifft und sein Selbstvertrauen verschwindet, kann ich warten bis er sich selbst wieder aufbaut oder ich kann ihm, wie im Fall Ulf Kirsten oder Fritz Walter, nachvollziehbare Hilfe anbieten.

Seine Spieler zu motivieren heißt für mich zu erfahren, wie der Spieler sich selbst erlebt hat, als er seine persönliche Bestleistung erbracht hat. Dieses absolut positive Gefühl versuche ich in vielen Einzelgesprächen so klar und deutlich wie möglich mir beschreiben zu lassen. Diese Situation verankere ich mit dem Spieler durch ein Signal. Dies kann ein Wort oder ein optisches Zeichen sein. Wenn der Spieler während des Spieles nicht gut drauf ist, d.h. ein Tor verschuldet hat oder irgendeinen anderen gravierenden Fehler gemacht hat und seine Leistung abfällt, nehme ich schnellstmöglich mit dem Spieler Kontakt auf um ihm mit dem vereinbarten Signal in eine positive oder zumindest neutral Stimmung zu versetzen. Dieses gelingt nicht immer, aber immer öfter.

Die 5 großen B's

Ich verstehe unter Motivation, mit dem Spieler Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, um die Eigensteuerung zu erhalten oder zu steigern. Alle Hilfen, die ich anbiete, müssen zu einer Eigenmotivation beitragen. Jede Fremdmotivation, d.h. einem Spieler durch die 5 großen B’s zu steuern, kann nicht zu dauerhaften Erfolg führen.

Unter den 5 großen B’s verstehe ich:

Bedrohen - Bestrafen - Bestechen - Belohnen - Belobigen = gemeint ist das Inflationäre

Zugegeben habe auch ich früher geglaubt, mit diesen Strategien richtig zu liegen. Viele kurzfristige Erfolge schienen mir recht zu geben, aber tatsächlich haben diese Maßnahmen wirklich (wenn überhaupt) nur einen kurzfristigen Erfolg gebracht, der mir heute im Nachhinein auch noch mehr fragwürdig erscheint. Ich habe dies mir und meinen Spielern verdeutlicht. Ich habe alle gefragt: Wollt ihr wie ein Esel behandelt werden, dem man eine Karotte vor die Nase hält? Desweiteren habe ich versucht, zu verdeutlichen, ob sie Fremdgesteuerte werden wollen, d.h. abhängig von den 5 B’s des Trainers. Ich habe versucht, jedem einzelnen klarzumachen, dass das nicht funktioniert. An einem Beispiel wird es vielleicht viel deutlicher, welche grotesken Vorstellungen über Motivationstechniken existieren:

Zwei große Bankhäuser „Profit“ und „Hyper“ veranstalten jährlich einen Ruderwettbewerb nach dem Vorbild von Oxford und Cambridge. Jedes Bankhaus stellte einen Achter für diesen Ruderwettbewerb auf. In den letzten Jahren hatte das Boot des Bankhauses „Hyper“ immer verloren. Daraufhin beschloss die oberste Chefetage des Hyperachters eine genaue Videoaufnahme des letzten Rennens.

Im erfolgreichen Profit-Boot erkannte man acht Ruderer und einen Steuermann. Zum allgemeinen Erstaunen und Entsetzen sam man im Hyper-Boot aber acht Steuermänner und einen Ruderer. Daraufhin fragte der Direktor der Hyper Bank seinen Personalchef: „Was könne wir da machen?“ Darauf der Personalchef: „Motivieren, diesen Mann müssen wir besser motivieren.“

Mit diesem überzeichneten Beispiel möchte ich uns vor Augen führen, dass das Motivieren die seltsamsten Vorstellungen auslöst.

Was verstehe ich unter der Kunst des Motivierens ?

  1. Dem Spieler Respekt und Achtung zeigen.
  2. Im Dialog ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis aufbauen.
  3. Gemeinsame Lösungsmöglichkeiten in Problemsituationen zu erarbeiten.
  4. Jedem Spieler ein Höchstmaß an Identifikations- und Entfaltungsmöglichkeiten zukommen lassen.
  5. Jeden Spieler in seiner Individualität wahrzunehmen und gemeinsam daraus eine mannschaftsdienliche Individualität zu erarbeiten.
  6. Eine gemeinsame Zieldefinition mit einer konsequenten Wegbeschreibung erarbeiten.
  7. Den Spielern verdeutlichen, dass sie selbst entscheiden, selbst verantwortlich sind. Wir können als Trainer nur Wege, Hilfen und Lösungsmöglichkeiten anbieten.

In dieser permanenten Verdeutlichung der Wahlmöglichkeiten liegt für mich die größte Chance der Eigenmotivation. Unter der Kunst der Motivation verstehe ich, dass sich jeder Trainer immer wieder die Frage stellen muss: Warum verhält sich ein Spieler so oder so? Und nicht: Wie schaffe ich es meinem Spieler zu einem gewünschten Verhalten zu motivieren?

Ich hoffe mit meinen Gedanken und Ausführungen belegt zu haben dass ich keine magischen Zirkel abhalte und auch kein Patentrezept für Motivationstricks liefern kann. Vielmehr wollte ich verdeutlichen, dass jeder Trainer verpflichtet ist, ständig seine pädagogische und psychologische Verantwortung wahrzunehmen.

Das kreative Energiepotential unserer Spieler entfalten, Blockaden zu beseitigen, Freude und Leidenschaft zu vermitteln, bezeichne ich als Kunst der Motivation.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern die größtmögliche private und berufliche Eigenmotivation um Erfolg und Erfüllung im privaten, beruflichen und sportlichen Bereich zu erleben.

Glasscherbenlauf
Teambuilding Maßnahme